Kerala - Indien für Einsteiger

In Indiens südlichsten Bundesstaat kom­men Europäer meist, um sich mit Ayurveda verwöhnen zu lassen, exzellent gewürzte Speisen zu genießen oder im Hausboot durch die Backwaters zu schaukeln. Jeder hat seine eigene Art, in ein fremdes Land hinein zu schnuppern, einen Einblick in den Alltag der Menschen zu gewinnen, und sei es über die Medizin.

Düne 7 - Indien für Einsteiger
Indien für Einsteiger - Düne 7

Vor wenigen Stunden , bei Morgengrauen erst in Kochi, der Hauptstadt des Bundesstaates Kerala, dem wohlhabendsten Indiens, ange­kommen, habe ich mich gleich ins Getümmel des Fisch- und Gewürzmarktes gestürzt, be­eindruckt von der Gelassenheit, mit der das scheinbare Chaos funktioniert, von dem Stolz, mit dem die offensichtlich Ärmsten ihre Bür­den auf dem Kopf tragen. Alle wirken freundlich, wenngleich zurückhaltend. Keine Aggressivität mir, dem vergleichsweise Reichen, gegenüber, wie in ,,Armenvierteln" sonst auf der Welt. Es ist unglaublich schmutzig, laut und überfüllt in diesen Straßen und Gassen - und genauso schön!

Als echter Tourist logiere ich im Hotel mit ein paar Sternen, bin standesgemäß mit Kamera be­hängt und versuche trotzdem einzudringen und zu verstehen.  
Sali hilft mir dabei - mit seiner Mo­tor-Rikscha, hier „Tue-Tue" genannt. Er spricht Englisch und zeigt mir die kleinen Kirchen und Tempel, die Hinterhöfe und die Märkte, in denen sich die Einheimischen versorgen. Wir fahren an einem „Government Hospital" vorbei - eine äußerlich armselige Ansammlung von größe­ren und kleineren Baracken , Sali kann nicht begreifen, dass ich hier halten will, aber das interessiert mich als Allgemein- und Reisemedi­ziner: Welche Medizin praktiziert man hier, wie funktioniert das System? Das „Sprechzimmer" des Notsprechstunde haltenden Kollegen ist eigentlich eine Eingangshalle mit einem Tisch in der Mitte, an dem er sitzt, einem Tischchen mit Spritzen und Abfall und einem weiteren Tischchen, an dem zwei Schwestern residieren und mir nicht verständliche Unterredungen mit Patienten führen. Nebenan ein großer Raum mit mehreren Pritschen, auf denen die Frischope­rierten des Tages ruhen.

Mit Improvisation gegen den Mangel

Ich stelle mich vor beim Kollegen Dr. Rasin Stan­ley und bitte, eine Weile hospitieren zu dürfen: Orthopädischer Chirurg sei er, aber die Not­sprechstunde müssten eben alle machen. Wir reden über Diagnose und Therapie, wir sprechen die gleiche Fachsprache. Seine Ausbildung und sein medizinisches Weltbild entsprechen dem meinen - außer dass er mir in Sachen Impro­visation unter Mangelbedingungen um Meilen voraus ist. Woran es denn am dringendsten fehle, frage ich. An den einfachsten Medika­menten , meint er, Antibiotika, Blutdruckmit­tel. Patienten bekommen ein Medikament aus dem Fundus, wenn sie Glück, oder ein Rezept, wenn sie Pech haben: dann müssen sie es selbst bezahlen. Eine Krankenschwester wedelt mit einem Räucherstäbchen um unsere Füße - um Stechmücken abzuwehren.

Wir fahren ins Landesinnere, erklimmen die Ghat Mountains. Für nicht mal 200 km bis Thekkady brauchen wir einen ganzen Tag. Ein­gebettet in die hügelige Landschaft, bedeckt von üppigem tropischen Bewuchs, liegt eine Spice Farm. Dort wird eine schier unglaubliche Vielfalt von Gewürzen und Früchten angebaut: Kaffee, Pfeffer, Vanille, Muskat, Papaya, Kakao. Dane­ben gedeihen Foxtail, Candle-Flower und Mi­mosen. Auf dem weiteren Weg Richtung Süden passieren wir großeTeeplantagen inmitten des tropischen Bergwaldes. Wir wenden uns nach Westen, wieder an die Küste. Von Alleppey aus kann man die „Backwaters''. die weitverzweig­ten Kanäle und Lagunen des Vembanad Lakes, in traditionellen, mit modernstem Komfort ausgestatteten Reisbooten befahren. Gut 150 Kilometer weiter südöstlich der Küste entlang erreichen wir Kovalam - eine hübsche Stadt, traumhafte Badestrände.

Medizin nach anderen Grundprinzpien

Wir beziehen Quartier im feinsten Hotel am Platz.Das Kempinski-Hotel wirbt besonders für das Ayurveda Spa. Mit der Erinnerung an das Government Hospital suche ich das Gespräch mit dem ärztlichen Direktor des Spa und ver­-suche zu begreifen, was dahintersteckt - nur Kommerz oder mehr? Ich selbst bin „Schulme­diziner''. Naturwissenschaftler, Esoterischem gegenüber skeptisch. Dr. Rajan Kiran erklärt geduldig. Ich versuche zu provozieren: ,,Ayur­ veda ist also für die Reichen, Arme müssen ins Government Hospital und kriegen möglichst billige ,normale' Medizin?" ,,Nein, keineswegs. Kommt ein reicher Mann zu mir, kann ich Gold für seine Arznei verwenden; kommt ein armer Mann, nehme ich stattdessen ein Kraut, das auch gut wirkt:' Dr. Kiran zeigt mir eine Ayurveda-Klinik in der Stadt. Was ich erwarte ist ein Spa, was mich erwartet ist jedoch ein Hospital nicht unähnlich dem am Anfang meiner Reise. Einfach, aber gut organisiert - und zwar wie ich es kenne, Notaufnahme, Ambulanz, Inne­re und Chirurgie, HNO, Urologie, Gynäkologie und Geburtshilfe. Alles und jeder wird behan­delt. Eine Rupie kostet eine Konsultation. Keine psychedelischen Klänge, keine Aromatherapie, sondern Lärm und Gerüche wie im Alltag einer Klinik in Indien. Hier wird keine esoterische Weltanschauung verbreitet, sondern Medizin praktiziert - nur eben nach anderen Grund­prinzipien als den mir gewohnten. Am Ende der Reise hat mich Indien noch einmal wie zu Beginn berührt, erstaunt, verunsichert.

Dr. med .Johannes Reck

 

Info Kerala

Anreise:Etihad Airways, die staatliche Flugge­sellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, fliegt von Abu Dhabi dreimal wöchentlich nach Thiruvananthapuram und viermal wöchentlich nach Kochi ab ca. 700 Euro (außerdem nach Delhi und Mumbai). www.etihadairways.com.  

Regelmäßige Verbindungen auch mit Air lndia, www.airindia.com.

Einreise: Ein Visum (bis 6 Monate 50 Euro) erhält man bei der Indischen Botschaft in Berlin oder bei den Generalkonsulaten in München, Frankfurt, Essen und Hamburg.

Reisezeit: Kerala hat zwei Regenzeiten. Der süd­westliche Monsun beginnt im Juni, der nordöstliche Mitte Oktober.

Internet: Die offizielle Kerala Website (auch auf Deutsch): www.keralatouri.somrg.

Veranstalter: Viele deutsche Reiseveranstalter haben Kerala im Programm u.a.Tischler Reisen,Tel.: 08821/931710, www.tischler-reisen.de. Hier werden auch individuelle Pakete geschnürt. Eine sechstägi­ge Rundereise „DieHöhepunkte Keralas" vonKochi aus kostet ohne Flug ab 720 Euro.