Der liebe Gott hat uns viele Krankheiten geschickt ... ...aber auch ein Kräutlein gegen jede wachsen lassen Malaria-Prophylaxe mit dem Wirkstoff Artemesin aus der Artemesia-Pflanze.

Ganz natürlich? Ohne Nebenwirkung? Funktioniert das?

Vor Kurzem erreichte mich folgende Leseranfrage:

Sehr geehrter Herr Dr. Reck,

mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel in der TOURS 6/2004 gelesen. Es ist zwar schon eine Weile vergangen - der Inhalt ober noch heute aktuell, zumal ich oft in Südafrika verweile. Im vergangenen Jahr war ich im September im Coprivizipfel von Namibia. Zum ersten Mal hörte ich in Windhoek von einer neuen Malariaprophyloxe, quasi einem Wundermittel ohne Nebenwirkung. Ich ließ mich in der dortigen City­ Apotheke vom freundlichen, deutschen Eigentümer beraten und kaufte Artemisia. Auffällige Nebenwirkung während der Einnahme konnte ich nicht feststellen, wobei ich anmerken muss, dass ich auch mit der üblichen Chemoprophyloxe früher keine Probleme hatte. Mich verwundert, dass dieses Mittel nicht von der Fachwelt diskutiert wird. Daher meine Frage an Sie: Wie beurteilen Sie Arfemisia? Ende Juni fliege ich erneut noch Namibia und werde mich in Zambia aufhalfen, wo Malariaprophyloxe nötig ist. Ich bin daher sehr an einer ",medizinischen Beurteilung" interessiert und wäre für eine Antwort sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen, Helga Ludwig

 

Reisemedizinische Beratung - Malariaprophylaxe

Von den Artemesia- oder Beifuß-Gewächsensind über 200 Arten bekannt, aus denen mehrere verschiedene nutzbare Stoffe gewonne nwerden;zum Beispiel auchd as Absynth aus der Artemesia absynthuim. Das Arthemeter wird aus dem einjährigen Beifuß extrahiert. Dieser kommt natürlicherweise im asiatischen Raum vor, wird mittlerwelie aber auf allen Kontinenten angebaut

Eine hochinteressante und hochaktuelle Frage, weswegen ich sie auch zum reise­medizinischen Hauptthema dieser Tours-Ausgabe machen möchte. "Naturmedi­zin" was immer sich hinter diesem unscharfen Begriff auch verbergen möchte, ist in aller Munde und es vergeht kein Tag in meiner Pra xis, an dem ich nicht gefragt werde, ob es gegen dies oder jenes nicht auch was Pflanzliches oder was Homöopathisches" gäbe. Da macht die Reisemedizin keine Ausnahme. Jeder wünscht sich Wirkung ohne Nebenwirkung und hofft, im Garten der Natur solcherlei Wunder­medikamente zu finden - auch zur Vorbeugung gegen oder für die Behandlung von Malaria. Und billig sollte es möglichst auch noch sein. Um Ihnen die Hintergründe dieser Diskussion genauer zu erklären und um meinen Standpunkt klar zu definieren, muss ich ein bisschen weiterausholen.

Homöopathie und Kräuterheilkunde werden oft in einen Topf "Naturmedizin" geworfen; pflanzliche Heilmittel und chemisch herge­stellte Medikamente werden dagegen meist als diametral entgegengesetzt verstanden. Dabei sind homöopathische Arzneimittelund pflanz­liche grundverschieden, dagegen pflanzliche und chemische prinzipiell genau das Selbe.

Bedenken Sie Folgendes: Die behauptete Wir­kung homöopathischer Medikamente soll auf die in Tropfen oder Kügelchen eingebrachte In­formation an den kranken Organismus beru­hen, wie er gesunden kann. Sie beruht jeden­ falls nicht auf einer stofflichen Wirkung enthaltener Substanzen. Die Wirkung von pflanzli­chen Medikamenten beruht auf extrahierten Substanzen aus Pflanzen. Die Wirkung übli­cher, "chemischer" Medikamente beruht eben­ falls auf der Wirkung der enthaltenen Wirksub­stanzen, die zudem oft von "natürlichen" Vor­läufern chemisch abgeleitet sind. Der einzige Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass bei den Pflanzenextrakten oft nicht bekannt ist, welche der im Sud enthaltenen Substanzen welche Wirkung in welcher Konzen­tration hat. Aber es gibt zahllose Stoffe aus der Pflanzenmedizin, die in der chemischen Phar­makotherapie ganz gebräuchlich sind, nur eben als chemisch genau definierte Substanzen in ganz exakten Dosierungen - Digitalis aus dem Fingerhut, Atropin aus der Tollkirsche, Opium aus dem Schlafmohn, Penicillin vom Schimmel­pilz ("Herr Doktor, Antibiotikum will ich aber keines; lieber was Natürliches!") um nur we­nige Beispiele zu nennen. In Pflanzen natürli­cherweise vorkommende Substanzen selbstverständlich ebenso eine chemische Strukturformel und sind deshalb genauso „chemische Substanzen" wie in der Retorte zusam­mengebraute.

Auch in der Malaria-Behandlung und Vorbeu­gung ist die Verwertung von pflanzenkundlicher Erfahrungsmedizin in pharmakologisch exakt definierter Therapie überhaupt nichts Neues: Die antimalarielle Wirkung eines Suds aus der Rinde des China-Baums (übrigens gar nicht in China sondern in Südamerika entdeckt )ist in der Heilkunde schon seit altersherbekannt. Pharmakologen haben dann den akti­ven Wirkstoff in dem Gemisch identifiziert und in Reinform zur effektiveren Anwendung ge­bracht.

Ganz nebenbei wurde so auch eine heil­same Wirkung chemisch leicht veränderten Chinins bei Herzrhythmusstörungen entdeckt. Mit dem Artemether war es ganz ähnlich: Ex­trakte aus der Artemisia-Pflanze wurden - in diesem Fall tatsächlich erstmals in China - schon vor langer Zeit zur Behandlung von Fieber und Malaria, eingesetzt, aber eben ohne Kenntnis der einzigen wirksamen Substanz in der Zubereitung. Diese wurde erst im vergange­nen Jahrhundert identifiziert, genau auf ihren Wirkmechanismus untersucht und chemisch noch ein wenig optimiert. Nur so war es schließlich möglich, zwei unterschiedlich wir­kende Stoffe zu einem effektiven Heilmittel für die unkomplizierte Malaria tropica zu kombi­nieren, das erst seit wenigen Jahren als Ria­met(r) erhältlich ist. Wohl gemerkt: Zur Be­handlung, nicht zur vorbeugenden Einnahme gegen eine Malaria. Die Verwendung von Arte­mether zum Einen als Monosubstanz und zum Anderen zur Vorbeugung ist ein Rückschritt wi­der besseres Wissen. Warum?

Ich antwortete der Leserin wie folgt: Sehr geehrte Frau Ludwig, vielen Dank für Ihre interessante Zuschrift. Der Wirkstoff Artemesin aus der Artemesia­ Pflanze ist in der Tat ein gut fiebersenkend und antimalariell wirksames Mittel. Die Wirkung des Pflanzenextrakts ist schon lange bekannt, der aktiver Wirkstoff seit einigen Jahrzehnten isoliert,chemisch definiert und verbessert wor­den. Dieses Artemether wirkt hoch-selektiv (das heißt fast nur gegen den „Feind", kaum ge­gen menschliche Zellen; deshalb nebenwir­kungsarm) und abtötend (nicht nur vermeh­rungshemmend) auf die Plasmodien. Zudem ist es schon seit einigen Jahren für die Behand­lung der unkomplizierten Malaria tropica in Kombination mit einem anderen Wirkstoff (Lu­mefantrin) als Riamet(r) verfügbar. Als Prophy­laktikum (zur Vorbeugung eingenommenes Me­dikament) ist es vollkommen untauglich - Sie könnten gerade so gut gar nichts oder irgend­ welche homöopathischen Kügelchen nehmen. Der Grund: Artemether hat eine sehr kurze, circa 1-2 Stunden währende Halbwertszeit (die Zeit nach der die Wirkung auf die Hälfte ab­ sinkt). Stellen Sie sich vor: Morgens gegen 9 nehmen Sie zum Frühstück ihre Malaria-Pro­phylaxe-Tablette Artemesia (die auch nur Arte­mesin, nicht das auf antimalarielle Wirkung op­timierte Artemether enthält) ein. Gegen 9 Uhr abends sticht Sie die Plasmodientragende Ano­pholesmücke. Vom Artemesia ist ruckzuck nix mehr an Wirkung übrig, und die Plasmodien machen sich schon mal eifrig über Ihre Leber­zellen her. Zu diesem Zeitpunkt merken Sie selbst noch gar nichts von der Infektion.Gegen diese Frühformen der Plasmodien ist Arteme­ther auch unwirksam. Erst wenn diese Ihre ro­ten Blutkörperchen befallen und sie schon rich­tig krank sind, kann das Artemether überhaupt wirken. Dann werden zwar viele Plasmodien in diesem Entwicklungsstadium zerstört, wenn Sie Ihre nächste Tablette einwerfen, aber diese Wirkung ist schnell vorüber, genügend Plasmo­dien überleben und Sie bleiben krank.

Selbst für die Behandlung einer Malaria ist die Halbwertszeit also zu kurz, deswegen wird es mit länger wirksamen Substanzen kombiniert (siehe oben). Ideal wäre die intravenöse Daue­rinfusion von Artemether bis zur völligen Eradi­kation aller Krankheitserreger welche meines Wissens nicht verfügbar ist. Für die Prophylaxe wollen Sie eine Substanz mit möglichst langer ausreichender Wirksam­keit (sprich Halbwertszeit) und gegen mög­lichst frühe Entwicklungsstadien wirksam - zum Beispiel Mefloquin (Lariam(r), Einnahme wöchentlich) oder die Kombination von Atova­quon und Proguanil (Malarone(r), Einnahme täglich) oder Doxycyclin (100mg lx täglich).

Noch ein Wort zu Namibia und Südafrika und Malaria-Prophylaxe: Diese ist nur zu Hochri­siko-Jahreszeiten und bei Einreise in be­stimmte kleine Gebiete überhaupt notwendig. Meist genügt Stichprophylaxe (siehe Tours5/2006) und eventuell Mitnahme eines Notfall­ Medikaments für die Behandlung. Dann gerne ein Arthemeterhaltiges Präparat wie Riamet(r) oder in Ihrem Fall Malarone(r), das besonders günstig sowohl zur Prophylaxe bei kurzen Auf­ enthalten in Hochrisikogebieten(weil nur 1 Tag vorher und 5 Tage nachher einzunehmen) als auch zur Notfallbehandlung einsetzbar ist.

Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für Ihre nächste Reise Dr.Johannes Reck

Fr. Ludwig hat meine Vorschläge angenommen; ich habe aber noch keine Nachricht wie's ihr auf ihrer Tour ergangen ist.

Ein paar Bemerkungen möchte ich noch an­ schließen, sowohl an Fr. Ludwig, treue Abon­nentin, als auch an alle anderen Leser: Wirklich umsonst gibt es kaum etwas, so auch keine Me dikamentenwirkung ohne jedes Risiko einer Nebenwirkung. Am ehesten lassen sich Wirkung und Nebenwirkung eines Stoffes noch trennen, wenn diese Substanz chemisch genau bekannt ist- im Unterschied zu einem Extrakt mit einer Vielzahl, teilweise in ihrer Struktur und Wir­kung ganz unbekannter Chemikalien,wie das in vielen Tinkturen pflanzlichen Ursprungs der Fall ist. Ich würde sogar ernste Zweifel an der Wirksamkeit einer Substanz anmelden, die als absolut nebenwirkungsfrei angepriesen wird. Das liegt in der Natur der Sache - eine in den Körper eingebrachte Substanz kommt fast überall hin, nicht nur dahin wo sie wirken soll. Sie interagiert mit allen Geweben des Körpers, nicht nur mit den erkrankten Zielorganen. Da kann es nicht ausbleiben, dass sie auch ir­gendwo einen unerwünschten Effekt hat, wenn sie denn eine potente Chemikalie ist, sei es pflanzlicher oder industrieller Herkunft. So kann das Artemether auch neurotoxische Wir­kung zeigen. Ich könnte noch viele anderen Bei­spiele anfügen (schwere Leberschädigung von Teufelskralle-Extrakten, allergische Reaktio­nen...), aber das ist nicht unser Thema Was mehr Anlass zur Besorgnis gibt ist Folgen­ des: Wenn Artemether entgegen den expliziten Empfehlungen der WHO (World Health Organi­ sation) und DTG (Deutsche Tropenmedizini­ sche Gesellschaft) zunehmend als Mono-Sub­stanz zur Behandlung und gar zur Prophylaxe der Malaria, also völlig falsch, eingesetzt wird, dann wird es nur wenige Jahre dauern, bis die ersten Plasmodien resistent gegen das Mittel werden. Die ideale Bedingung für die Entwicklung dieser Resistenz ist nämlich der falsche Einsatz des Mittels; wenn die Krankheitserreger der Substanz zwar ausgesetzt sind, aber in unzureichender Konzentration und über zu kurze Zeit. Dann gehen sie nicht zugrunde son­ dern können enzymatische Abwehrstrategien dagegen entwickeln, genetisch verankern und an ihre Nachkommen weitervererben.

Die weit verbreitete Naturheilkunde-Gläubig­keit, beziehungsweise das dahinterstehende Missverständnis (siehe oben) ist der Ansatz­punkt für die Werbestrategien im sich immer weiter ausbreitenden Markt der „nebenwirkungsfreien Naturmittel" gegen die Malaria. Absehbares Ergebnis dieser Entwicklung wird sein, dass Artemether bald zu den fast überall unwirksamen Medikamenten gehören wird. Traurig - eine hochwirksame, nebenwirkungs­arme und billige Substanz wird dann nutzlos sein. Dabei ist diese Substanz sehr wichtig für die Länder, die es am meisten brauchen, wenn auch nicht für uns, vergleichsweise reiche, Tou­risten.

Es liegt mir sehr viel daran, dass wenigstens Sie, meine Leserinnen und Leser, nicht zu den Verantwortlichen für diesen Prozess gehören. Übrigens, nächstes Jahr planen wir eine Repor­tage über ein afrikanisches Land (Äthiopien oder Tanzania), in dem wir nicht nur die touri­stischen Highlights beschreiben, sondern auch über die medizinischen Probleme des Landes berichten wollen. Malaria wird da sicher ein Hauptthema sein. Richten Sie doch Ihr Augen­merk bei Ihren Reisen auch mal auf die medizi­nische Infrastruktur vor Ort. Auf diesbezügliche Erfahrungsberichte bin ich sehr gespannt.